0190-Dialer und Recht
Dokument im pdf-FormatOLG Celle, Urteil vom 29.11.2000 Az.: 21 U 36/00

 

 

 

OLG CELLE
URTEIL VOM 29.11.2000
AZ.: 21 U 36/00


Telefonnetzbetreiber und Anbieter von Telefonsex über eine 0190-Nummer schließen getrennte Verträge mit dem Telefonkunden.

Tatbestand:

Die Klägerin betreibt ein Mobilfunknetz. Kunden der Klägerin haben die Möglichkeit, über das von der Klägerin zur Verfügung gestellte Mobilfunknetz Telefonanschlüsse des von der Deutschen Telekom betriebenen Festnetzes anzuwählen. Dazu gehören auch die mit der Vorwahl 0190 beginnenden Nummern, unter denen Dienste i.S.d. Teledienstegesetzes angeboten werden.


Auf den schriftlichen Antrag der Beklagten vom 25.7.1997 stellte die Klägerin der Beklagten einen Mobilfunkanschluss zur Verfügung. In Ziffer 4 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Klägerin heißt es u.a.:


"4.1 Der Kunde ist zur Zahlung der Rechnungsbeträge verpflichtet, wie sie sich aus den von M. veröffentlichten und dem Kunden bei Vertragsschluss bekannt gegebenen Tarifen im Einzelnen ergeben. Die Zahlungspflicht besteht auch, wenn Dritte die D 2-Karte benutzen. …


4.4 Befindet sich der Kunde in Verzug, werden - vorbehaltlich der Geltendmachung eines weitergehenden Verzugsschadens - Zinsen i.H.v. 4 % über dem jeweiligen Diskontsatz der Deutschen Bundesbank berechnet. Dem Kunden bleibt es vorbehalten, einen geringeren Schaden nachzuweisen.


4.5 Im Falle des Verzuges ist M. berechtigt, sämtliche Forderungen aus D 2-Kartenverträgen sofort fällig zu stellen, sofern die Forderung, mit deren Erfüllung der Kunde in Verzug ist, mindestens 20 % der fällig zu stellenden Forderungen beträgt.


M. ist weiter berechtigt, die vertraglichen Leistungen einzustellen, insbesondere die Zukunftsberechtigung des Kunden zum D 2-Netz zu sperren, …
Kommt der Kunde für zwei aufeinander folgende Monate mit der Bezahlung eines nicht unerheblichen Teiles des Rechnungsbetrages in Verzug, ist M. berechtigt, das Kundenverhältnis fristlos zu kündigen."


Nachdem die Beklagte Rechnungen der Klägerin vom 12.7., 10.8. und 9.9.1999 nicht bezahlt hatte, deaktivierte die Klägerin den Anschluss der Beklagten.
Die Klägerin fordert von der Beklagten die Zahlung von 21.944,38 DM.


Die Beklagte meint, die Entgelte für Anrufe zu Sondernummern nicht zu schulden. Es seien keine gültigen Vereinbarungen über die Vergütung der in Anspruch genommenen Teledienste zustande gekommen. Dabei habe es sich - wie sie behauptet hat - ausschließlich um "echten" Telefonsex gehandelt. Sie vertritt die Auffassung, dass Vereinbarungen über die Vergütung von Telefonsex sittenwidrig seien.


Durch Urteil vom 9.5.2000 hat das LG die Beklagte antragsgemäß zur Zahlung verurteilt.


Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten ist überwiegend begründet.


Die Klägerin hat gegen die Beklagte lediglich Anspruch auf Zahlung von 5.755,77 DM. Die Forderung setzt sich aus 1/4 der in der Rechnung vom 9.10.1999 enthaltenen Entgelte für Anrufe zu Sondernummern ((21.944,38 DM - 354,56 DM - 5 DM = 21.584,82 DM) : 4 = 5.396,21 DM), dem Schadensersatz (354,56 DM) und den Mahnkosten (5 DM) zusammen.
Die Klägerin kann von der Beklagten dem Grunde nach verlangen, dass sie das Entgelt


a) für die von der Klägerin selbst geleisteten Dienste und
b) für Teledienste (§ 2 Abs. 2 Teledienstegesetz (TDG)), die von Dritten erbracht worden sind, soweit die diesbezüglichen Vereinbarungen gültig sind bezahlt.


Die Klägerin hat gegen die Beklagte aus dem Telefonvertrag (Dienstvertrag, § 611 BGB) der Parteien i.V.m. Ziffer 4.1 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Klägerin Anspruch auf Zahlung der Rechnungsbeträge, wie sie sich aus den von der Klägerin veröffentlichten und dem Kunden bei Vertragsschluss bekannt gegebenen Tarifen ergeben. Die Zahlungspflicht besteht auch, wenn Dritte den Mobilfunkanschluss benutzen.
Hiervon zu unterscheiden ist die Einziehung von Entgelten für Teledienste. Dabei handelt es sich nicht um eigene Ansprüche der Klägerin, sondern um solche des Diensteanbieters (§ 3 Nr. 1 TDG). Mit dem Anruf kommt durch entsprechende telefonische Erklärungen der Beteiligten (§ 147 Abs. 1 S. 2 BGB) oder durch schlüssiges Verhalten ein Teledienstvertrag zwischen Anrufer und Diensteanbieter zustande (Piepenbrock/Müller, MMR, Beilage 12/99, S. 19).


Demgegenüber gibt der Anrufer keine Erklärung gegenüber dem Mobilfunkunternehmen ab. Das Telefonunternehmen erhält vom Inhalt des Anrufs und der darin gewechselten Erklärungen keine Kenntnis. Das bloße Wählen einer einschlägigen Nummer ist kein Rechtsgeschäft (Medicus, EWiR 2000, 7 [8]). Das Mobilfunkunternehmen ist lediglich gem. § 15 Abs. 1 der Telekommunikationsverordnung (TKV) im Verhältnis zu anderen Netzanbietern (hier: Deutsche Telekom) verpflichtet und gegenüber dem Telefonkunden berechtigt, die Forderung des Diensteanbieters einzuziehen.


Das Recht zur Einziehung umfasst aber nur Entgelte aus Teledienstverträgen, die nicht gem. § 138 Abs. 1 BGB sittenwidrig und deshalb nichtig sind. Aus der Summe der berechneten Entgelte zu 0190-Nummern sind das nur 25 %.
Die Beklagte behauptet, dass es sich bei den von dem Zeugen K. in Anspruch genommenen Telediensten zu einem weit überwiegenden Teil um "erotische Echtzeitgespräche" (Definition von Piepenbrock/Müller, MMR, Beilage 12/99, S. 7 [9]) und nicht um sonstige Teledienste gehandelt habe.
Die Klägerin darf das zwar gem. § 138 Abs. 4 ZPO mit Nichtwissen bestreiten. Die Behauptung der Beklagten betrifft weder eigene Handlungen der Klägerin noch den Gegenstand ihrer eigenen Wahrnehmung. Die Teledienste (§ 2 Abs. 2 TDG) werden nicht von der Klägerin, sondern vom Diensteanbieter (§ 3 Nr. 1 TDG) erbracht. Die Klägerin ist auch nicht für deren Inhalt verantwortlich; verantwortlich ist vielmehr der Diensteanbieter (§ 5 Abs. 1 TDG). Daraus folgt, dass die Klägerin nicht verpflichtet ist, sich Kenntnis vom Inhalt der Teledienste zu verschaffen. Zudem ist sie nicht berechtigt, Telefongespräche ihrer Kunden zu überwachen.


Die Beklagte hat aber ihre Behauptung bewiesen. Der Zeuge K. hat glaubhaft ausgesagt: Er sei derjenige gewesen, der vom Telefonanschluss der Beklagten aus Sondernummern angerufen habe. Dabei habe es sich zu ca. 10 % um Dating-Lines und zu schätzungsweise 90 % um reinen Telefonsex gehandelt. …
Vereinbarungen über die Leistung von Telefonsex begründen weder zwischen Diensteanbieter und dem Nutzer (§ 3 Nr. 3 TDG) noch zwischen dem Mobilfunknetzbetreiber und dessen Vertragspartner wirksame Forderungen. Verträge, die darauf gerichtet sind, Telefonsex kommerziell zu fördern, sind sittenwidrig (BGH v. 9.6.1998 - XI ZR 192/97, MDR 1998, 1151 = NJW 1998, 2895). Das trifft erst recht auf Verträge zu, bei denen der Telefonsex selbst wesentlicher Vertragsgegenstand ist (OLG Düsseldorf v. 8.6.1999 - 20 U 100/98, NJW-RR 1999, 1431; OLG Stuttgart v. 21.4.1999 - 9 U 252/98, OLGR Stuttgart 1999, 225 = ZIP 1999, 1217 [1218]). Zwar ist nicht zu verkennen, dass das Angebot erotischer Echtzeitgespräche nicht ohne weiteres mit Geschäften verglichen werden kann, die die Förderung der Prostitution zum Gegenstand haben. Das Führen derartiger Gespräche wiegt nicht so schwer wie die warengleiche Vermarktung des menschlichen Körpers im Bordell (LG Hamburg v. 10.5.1996 - 303 O 339/95, NJW-RR 1997, 178). Es verstößt nicht gegen Normen des Strafrechts (OLG Koblenz v. 12.8.1999 - 8 U 970/99, NJW-RR 2000, 930; LG Hamburg v. 10.5.1996 - 303 O 339/95, NJW-RR 1997, 178) und ist nicht einmal ordnungswidrig (BGH v. 9.6.1998 - XI ZR 192/97, MDR 1998, 1151 = NJW 1998, 2895 [2896]; OLG Koblenz v. 12.8.1999 - 8 U 970/99, NJW-RR 2000, 930). Im Gegensatz zur Prostitution droht im Umfeld des Diensteanbieters keine vergleichbare Milieu-Bildung (LG Hamburg v. 10.5.1996 - 303 O 339/95, NJW-RR 1997, 178). Gleichwohl kann von der Rechtsordnung ebenso wenig wie bei einem auf die entgeltliche Gewährung des Geschlechtsverkehrs gerichteten Vertrag eine wirksame Verpflichtung des Diensteanbieters anerkannt werden, die versprochene Leistung zu
erbringen. Das hieße nämlich, den Diensteanbieter unter dem Druck von Schadensersatzansprüchen dazu zu zwingen, die für die so genannten erotischen Echtzeitgespräche spezifischen sexualbezogenen Dienste zu leisten.


Das kann jedoch nicht auf Dienste, die die Kontaktaufnahme mit einem zufälligen, ständig wechselnden Kreis von Teilnehmern zum Gegenstand haben ("Chat-Lines", "Dating-Lines" und "Flirt-Lines"), übertragen werden (OLG Hamm MMR 2000, 371; Piepenbrock/Müller, MMR, Beilage 12/99, S. 8 f). Hier übernimmt der Diensteanbieter nämlich nicht die Verpflichtung, die für die so genannten erotischen Echtzeitgespräche spezifischen sexualbezogenen Dienste zu leisten. Er stellt lediglich die Verbindung zwischen dem Anrufer und einem anderen Teilnehmer her. Dieser kann die Inhalte des Gesprächs frei bestimmen, da er gegenüber dem Anrufer keinerlei Verpflichtung eingeht.


Die Nichtigkeit des Teledienstvertrages führt ebenso wenig zur Nichtigkeit des Telefonvertrages wie dessen Wirksamkeit dem nichtigen Teledienstvertrag zur Gültigkeit verhelfen kann.
Die Nichtigkeit eines Rechtsgeschäfts erfasst zwar gem. § 139 BGB die damit untrennbar verbundenen Rechtsgeschäfte (BGH v. 9.6.1998 - XI ZR 192/97, MDR 1998, 1151 = NJW 1998, 2895 [2896]). Der Teledienstvertrag und der Telefonvertrag sind aber verschiedene Rechtsgeschäfte und nicht Teil eines einheitlichen Rechtsgeschäfts. Der dafür erforderliche Wille der Beteiligten, dass die Geschäfte miteinander stehen und fallen sollen, kann nicht festgestellt werden.


Der Telefonvertrag selbst ist auch dann weder ganz noch zum Teil sittenwidrig, wenn der Telefonkunde das Telefonnetz für "erotische Echtzeitgespräche" benutzt. Er ist nicht von vornherein darauf gerichtet, sittenwidrige Dienste abzurufen. Welche Nummern angerufen werden, ist bei Abschluss des Vertrages noch ungewiss. Wählt der Kunde derartige Nummern nicht, ist der Telefonvertrag keinesfalls nichtig. Das Wählen einer einschlägigen Nummer macht den Telefonvertrag weder ganz noch zum Teil nichtig (Medicus, EWiR 2000, 7 [8]). Sowohl die Herstellung der Telefonverbindung zum Festnetz als auch die Einziehung der Teledienstgebühren sind wertneutrale Hilfsgeschäfte. Sie sind objektiv nicht darauf gerichtet, den Telefonsex zu fördern (OLG Koblenz v. 12.8.1999 - 8 U 970/99, NJW-RR 2000, 930; OLG Hamm MMR 2000, 371; a.A. [jeweils betr. Deutsche Telekom] OLG Düsseldorf v. 8.6.1999 - 20 U 100/98, NJW-RR 1999, 1431 [1432]; OLG Stuttgart v. 21.4.1999 - 9 U 252/98, OLGR Stuttgart 1999, 225 = ZIP 1999, 1217 [1218, 1219]; LG Bonn MMR 2000, 377).


Das Mobilfunkunternehmen stellt lediglich die Möglichkeit bereit, telefonisch in Kontakt zu treten. Für den Inhalt der geführten Gespräche ist es nicht verantwortlich. Das Mobilfunkunternehmen zieht die Forderung des Diensteanbieters nicht aus eigenem Entschluss ein. Hierzu ist es vielmehr gem. § 15 Abs. 1 der Telekommunikationsverordnung (TKV) im Verhältnis zu anderen Netzanbietern (hier zur Deutschen Telekom) verpflichtet. Das hat zur Folge, dass die Beklagte dem Grunde nach verpflichtet ist, die von der Klägerin selbst erbrachten Leistungen zu bezahlen.


Das führt jedoch nicht dazu, dass der Telefonnetzbetreiber auch die nichtige Forderung einziehen kann (a.A. OLG Koblenz v. 12.8.1999 - 8 U 970/99, NJW-RR 2000, 930; OLG Hamm MMR 2000, 371). Die - objektive - Nichtigkeit des Teledienstvertrages gilt auch für das Rechtsverhältnis des Diensteanbieters zum Telefonnetzbetreiber (Medicus, EWiR 2000, 7 [8]). Das führt dazu, dass das Mobilfunkunternehmen dem Diensteanbieter und dem anderen Netzbetreiber (hier: Deutsche Telekom) die Nichtigkeit des Teledienstvertrages entgegenhalten kann (Piepenbrock/Müller, MMR, Beilage 12/99, S. 23).
Ob die Klägerin überhaupt die Möglichkeit hat, sittenwidrige Teledienste von nicht sittenwidrigen zu unterscheiden und nur letztere abzurechnen, ändert hieran nichts, weil diese Erwägung das Rechtsverhältnis Nutzer - Diensteanbieter nicht betrifft.
Das Vorbringen der Beklagten ist zwar nicht dem Grunde, aber der Höhe nach auch gegenüber Ansprüchen der Klägerin gegen die Beklagte für die von der Klägerin selbst erbrachten Leistungen erheblich, soweit diese in den abgerechneten Entgelten für erotische Echtzeitgespräche enthalten sind. Anhand der Abrechnungen der Klägerin kann nämlich nicht errechnet werden, zu welchen Teilen in den Gebühren für Anrufe zu Sondernummern Entgelte für eigene Leistungen der Klägerin enthalten sind. Eine entsprechende Berechnung hat die Klägerin trotz ausdrücklicher Aufforderung durch den Senat nicht beigebracht. …

 

 

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